Ausgleichende Gerechtigkeit in der Erbengemeinschaft: Was Sie wissen sollten
Einleitung: Wenn der Nachlass für Streit sorgt
Eine Mutter verstirbt und wird von ihren drei Kindern beerbt. Eines der Kinder hat sie jahrelang gepflegt, während ein anderes vor vielen Jahren eine großzügige Geldschenkung für den Hauskauf erhalten hat. Das dritte Kind war nie vor Ort und hat sich früh von der Familie losgesagt. Nun entsteht Streit um die gerechte Aufteilung des Erbes. Die Frage steht im Raum: Muss das alles bei der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft berücksichtigt werden. Oder einfacher: Müssen die Leistungen und Zuwendungen unter den Erben ausgeglichen werden? Wer erhält was?
Bei der Aufteilung des Nachlasses innerhalb einer Erbengemeinschaft geht es häufig nicht nur um rechtliche Ansprüche, sondern auch um das subjektive Gerechtigkeitsempfinden der Beteiligten. Umso wichtiger ist es, Klarheit darüber zu schaffen, wann ein Ausgleich tatsächlich gesetzlich vorgesehen ist – und wie er berechnet wird.
Wann ist ein Ausgleich unter Geschwistern vorgesehen?
Ein Ausgleich kommt immer dann in Betracht, wenn erbende Kinder oder Enkel (Abkömmlinge) im Rahmen der Erbauseinandersetzung berücksichtigt werden und zuvor zu Lebzeiten Zuwendungen erhalten oder besondere Leistungen erbracht haben. Die maßgeblichen Rechtsgrundlagen sind die §§ 2050 ff. BGB.
Voraussetzungen:
- Erbengemeinschaft unter Abkömmlingen (Kinder oder Enkel)
- Gesetzliche Erbfolge oder Gleichstellung im Testament (§§ 2050, 2052 BGB)
- Keine entgegenstehende Anordnung des Erblassers (!)
Besonders häufig wird die Ausgleichung dann relevant, wenn mehrere Kinder zu gleichen Teilen erben und keine ausdrückliche Regelung zu Lebzeiten – im Zeitpunkt der Zuwendung –, im Testament oder Erbvertrag getroffen wurde.
Was ist auszugleichen – und was nicht?
Das Gesetz unterscheidet zwischen Zuwendungen des Erblassers und Leistungen der Abkömmlinge.
Zuwendungen des Erblassers (§ 2050 BGB):
- Ausstattung (z. B. Zuschüsse zur Hochzeit, Ausbildung oder Existenzgründung)
- Übermaßzuwendungen (z. B. besonders großzügige Geldgeschenke)
- Sonstige Zuwendungen, sofern der Erblasser ausdrücklich einen Ausgleich angeordnet hat
Besondere Leistungen der Abkömmlinge (§ 2057a BGB):
- Pflege des Erblassers ohne Vergütung
- Mitarbeit im Haushalt, Betrieb oder bei der Verwaltung des Vermögens
- Erhebliche finanzielle oder persönliche Unterstützung über längere Zeiträume
Nicht jede Hilfeleistung oder jede Schenkung führt automatisch zu einer Ausgleichspflicht. Entscheidend sind Umfang, Dauer und die Absicht, mit der die Leistung erbracht wurde.
Kann der Erblasser die Ausgleichung ausschließen?
Der Erblasser kann anordnen, dass eine bestimmte Zuwendung nicht ausgeglichen werden soll. Diese Anordnung muss spätestens im Zeitpunkt der Zuwendung erfolgt sein. Sie kann mündlich, besser jedoch schriftlich erklärt werden, um spätere Auseinandersetzungen zu vermeiden. Auch eine nachträgliche Regelung im Testament ist in bestimmten Konstellationen möglich, etwa durch ein Vorausvermächtnis zugunsten anderer Erben. Allerdings sind hierbei pflichtteilsrechtliche Grenzen zu beachten.
Zudem können die Abkömmlinge nach dem Erbfall einvernehmlich Vereinbarungen über die Ausgleichung treffen oder auf eine solche verzichten – hierauf sollte man sich allerdings nicht verlassen.
Wie wird der Ausgleich unter den Erben vollzogen?
Die Ausgleichung erfolgt nicht durch Zahlung eines Betrags, sondern im Rahmen der rechnerischen Erbauseinandersetzung. Dabei werden bestimmte Zuwendungen und Leistungen in die Berechnungsgrundlage einbezogen. Zur Verdeutlichung ein Berechnungsbeispiel:
Beispiel: Ausgleichung in der Erbengemeinschaft mit zwei Kindern – stark vereinfacht
- Der Vater verstirbt.
- Es gibt kein Testament – gesetzliche Erbfolge.
- Erben: zwei Kinder, also je ½ Erbquote.
- Der Nachlass besteht aus einem Bankguthaben von 100.000 Euro.
- Zu Lebzeiten hat Kind A eine Zuwendung von 20.000 Euro erhalten (für den Hausbau).
- Kind B hat nichts erhalten.
Schritt 1: Feststellung des realen Nachlasses
- 100.000 Euro Guthaben (keine Schulden oder sonstiges Vermögen)
Schritt 2: Fiktiven Nachlasswert berechnen
- Lebzeitige Zuwendung an Kind A wird hinzugerechnet:
100.000 Euro + 20.000 Euro = 120.000 Euro
Schritt 3: Erbteil berechnen
Beide Kinder erben zu gleichen Teilen:
120.000 / 2 = 60.000 Euro je Kind (rechnerischer Erbteil)
Schritt 4: Vorempfang verrechnen
- Kind A hat bereits 20.000 Euro erhalten; er bekommt daher nur noch 40.000 Euro aus dem Nachlass.
- Kind B hat nichts erhalten; er bekommt daher 60.000 Euro aus dem Nachlass.
Der Ausgleich bewirkt also eine rechnerische Gleichbehandlung beider Kinder – obwohl Kind A bereits zu Lebzeiten des Vaters begünstigt wurde.
Hinweis: In der Praxis wird die Berechnung häufig dadurch erschwert, dass der Wert der Zuwendung nicht eindeutig feststellbar ist, insbesondere bei Sachzuwendungen wie Immobilien oder Unternehmensanteilen. Oft liegen die Zuwendungen Jahrzehnte zurück. Zudem sieht das Gesetz vor, dass der Wert der Zuwendung indexiert, also unter Berücksichtigung der Inflation auf den Zeitpunkt des Erbfalls angepasst wird.
Wer muss Auskunft geben – und wer muss was beweisen?
In der Praxis stellt sich oft die Frage, wie die erforderlichen Informationen für eine gerechte Aufteilung beschafft werden können.
Auskunftspflicht (§ 2057 BGB):
Miterben sind verpflichtet, einander über alle möglicherweise ausgleichungspflichtigen Zuwendungen Auskunft zu erteilen. Dazu gehören:
- Art und Umfang der Zuwendung
- Zeitpunkt und Zweck
- eventuelle Anordnungen des Erblassers
Beweislast:
- Wer eine Ausgleichspflicht geltend macht, trägt die Beweislast für die Zuwendung oder Leistung.
- Wer sich auf einen Ausschluss der Ausgleichung beruft, muss dies ebenfalls belegen können.
Fazit: Klare Regelungen vermeiden Streit
Ausgleichspflichten in der Erbengemeinschaft sind häufig Gegenstand erbitterter Auseinandersetzungen. Umso wichtiger ist es, bereits zu Lebzeiten klare Regelungen zu treffen – und nach dem Erbfall sachlich und rechnerisch nachvollziehbar zu handeln.
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