Was muss alles in ein Nachlassverzeichnis in einer Pflichtteilssache?
Wenn man enterbt wurde, sitzt man oft fassungslos da. Der Tod eines geliebten Menschen ist schon schwer genug – und dann stellt sich auch noch heraus, dass man im Testament nicht bedacht wurde. Doch es gibt einen Hoffnungsschimmer: den Pflichtteil. Wer als Kind, Ehepartner oder -sofern keine Kinder vorhanden sind- Elternteil enterbt wurde, hat in Deutschland trotzdem Anspruch auf einen Anteil am Nachlass. Um diesen Pflichtteil berechnen zu können, ist ein vollständiges und korrektes Nachlassverzeichnis unerlässlich.
In diesem Beitrag erklären wir verständlich und Schritt für Schritt:
- Was in ein Nachlassverzeichnis gehört
- Warum ein solches Verzeichnis für Pflichtteilsansprüche so wichtig ist
- Welche Besonderheiten bei schwer zu bewertenden Vermögensgegenständen gelten
- Und warum es oft sinnvoll ist, sich von einem Fachanwalt für Erbrecht unterstützen zu lassen
Warum braucht man in einer Pflichtteilssache ein Nachlassverzeichnis?
Der Pflichtteil eines Pflichtteilsberechtigten entspricht der Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Relevant für die Berechnung ist der Wert des gesamten Nachlasses. Um den konkreten Pflichtteilsanspruch berechnen zu können, ist es wichtig einen umfassenden Überblick über den Nachlass zu haben. Wer nur einen Bruchteil davon kennt, kann seinen Anteil kaum beziffern. Deshalb haben Pflichtteilsberechtigte – also enterbte Kinder, Ehepartner oder Eltern – das Recht, vom Erben ein vollständiges Nachlassverzeichnis zu verlangen. Dieses Verzeichnis zeigt, welches Vermögen (und welche Schulden) der Verstorbene zum Todeszeitpunkt hinterlassen hat.
Je genauer und transparenter dieses Verzeichnis ist, desto besser lässt sich der Pflichtteilsanspruch durchsetzen – und mögliche Konflikte lassen sich frühzeitig vermeiden.
Was gehört alles in ein Nachlassverzeichnis?
Ein vollständiges Nachlassverzeichnis besteht aus drei Bereichen:
- Aktiva (Vermögenswerte)
- Passiva (Verbindlichkeiten und Schulden)
- Schenkungen und sonstige Zuwendungen zu Lebzeiten
Im Folgenden gehen wir auf jeden Bereich näher ein.
1. Vermögenswerte im Nachlassverzeichnis
Zum Nachlass gehören sämtliche Vermögenswerte, die der oder die Verstorbene zum Zeitpunkt des Todes besessen hat. Dazu zählen insbesondere:
- Bankguthaben: Girokonten, Sparkonten, Tagesgeldkonten
- Wertpapierdepots: Aktien, Fonds, Anleihen
- Immobilien: Eigentumswohnungen, Häuser, Grundstücke
- Fahrzeuge: Pkw, Motorräder, Oldtimer
- Schmuck, Uhren, Kunstwerke, Sammlungen
- Hausrat (wenn er überdurchschnittlichen Wert hat)
- Beteiligungen an Unternehmen oder Gesellschaften
- Ansprüche gegenüber Dritten (z. B. Rückzahlungsforderungen)
Achtung bei Depots: Latente Steuern berücksichtigen
Wertpapierdepots führen häufig zu Missverständnissen. Es reicht nicht, den Depotwert „brutto“ anzusetzen – also so, wie er auf dem Kontoauszug erscheint. Denn bei der Veräußerung der Wertpapiere entstehen unter Umständen Steuern auf Kursgewinne, sogenannte latente Steuern. Diese müssen im Nachlassverzeichnis in Abzug gebracht werden, da sie den realen Wert des Nachlasses mindern.
2. Verbindlichkeiten und Schulden
Auch die Schulden des Erblassers gehören in das Nachlassverzeichnis – denn sie verringern den Pflichtteil.
Typische Posten sind:
- Offene Rechnungen und Darlehen
- Hypotheken oder Grundschulden auf Immobilien
- Steuerverbindlichkeiten
- Bestattungskosten
- Verbindlichkeiten aus Verträgen, z. B. Miet- oder Leasingverträge
3. Schenkungen zu Lebzeiten
Schenkungen, die der Erblasser zu Lebzeiten gemacht hat, müssen im Nachlassverzeichnis zusätzlich aufgeführt werden. Diese Regel gilt unabhängig davon, wer Empfänger der Schenkung war.
Doch warum ist das so?
Der Pflichtteilsanspruch umfasst sich nicht nur das „was übrig ist“, sondern auch das, was zu Lebzeiten verschenkt wurde, soweit diese Schenkungen noch in die sogenannte Pflichtteilsergänzung fallen. Es handelt sich um den sog. Pflichtteilsergänzungsanspruch.
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch unterliegt der Abschmelzung mit der Konsequenz, dass Schenkungen die weiter als 10 Jahre zurückliegen nicht mehr beauskunftet werden müssen -außer es handelte sich um Schenkungen an den Ehegatten.
Typische Beispiele:
- Übertragene Immobilien
- Geldgeschenke größeren Umfangs
- Wertvolle Gegenstände (z. B. eine Luxusuhr oder ein Gemälde)
Auch diese Positionen müssen ggf. geschätzt oder durch Gutachten bewertet werden.
Schwierige Fälle: Wenn Vermögenswerte nicht einfach zu beziffern sind
Nicht alle Vermögenswerte lassen sich einfach in Euro und Cent angeben. Bei Immobilien, Fahrzeugen, Schmuck oder Kunstwerken ist oft eine professionelle Wertermittlung durch Sachverständige nötig.
Das ist wichtig, damit der Pflichtteilsberechtigte nicht „unter Wert“ abgefunden wird.
Vorläufiges Nachlassverzeichnis als Zwischenlösung
Wenn die Bewertung noch nicht abgeschlossen ist – etwa weil ein Gutachten noch aussteht – kann zunächst ein vorläufiges Nachlassverzeichnis erstellt werden. Sobald die endgültigen Werte vorliegen, muss das Verzeichnis ergänzt und angepasst werden.
Das verhindert Verzögerungen und schafft trotzdem Transparenz.
Warum Sie ein vollständiges und sorgfältiges Nachlassverzeichnis brauchen
Ein lückenhaftes oder fehlerhaftes Nachlassverzeichnis führt oft zu Streit, langwierigen Verfahren. Besonders bei komplizierten Nachlässen mit Immobilien, Unternehmensbeteiligungen oder ausländischem Vermögen ist Vorsicht geboten.
Daher empfehlen wir:
- Bestehen Sie auf einem vollständigen Nachlassverzeichnis
- Lassen Sie die Angaben durch Fachleute überprüfen
- Ziehen Sie frühzeitig eine Fachanwältin oder einen Fachanwalt für Erbrecht hinzu
Ein erfahrener Anwalt erkennt nicht nur Lücken und Widersprüche, sondern kann auch den Druck erhöhen, wenn Erben zögern oder blockieren.
Fazit: Lassen Sie sich beraten – Ihre Ansprüche sind wertvoll
Wenn Sie enterbt wurden, stehen Ihnen gesetzlich klare Rechte zu. Damit Sie diese Rechte auch durchsetzen können, ist ein vollständiges Nachlassverzeichnis entscheidend. Besonders bei komplizierten oder streitigen Erbfällen ist eine fachkundige Unterstützung Gold wert.
Lassen Sie sich von einem erfahrenen Fachanwalt oder einer Fachanwältin für Erbrecht bei protego.legal beraten. Wir helfen Ihnen, Ihr Recht auf den Pflichtteil durchzusetzen – kompetent, verständnisvoll und mit dem nötigen Durchsetzungsvermögen.