Fachanwalt für Erbrecht
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Pflichtteil trotz Ausschlagung („taktische Ausschlagung“) 

Nicht jede Erbschaft ist erfreulich, da sie mit Schulden, steuerlichen Lasten und finanziellen Problemen einhergehen kann. Auch das Gefühl von Bevormundung und Ungerechtigkeit kann die Erben umtreiben, beispielsweise wenn der Erblasser in seinem Testament einen Testamentsvollstrecker bestimmt oder einen wertvollen Nachlassgegenstand einem bestimmten Erben zugedacht hat. In diesen Fällen denken manche Erben sogar darüber nach, das Erbe auszuschlagen. 

Grundsatz: Ausschlagung führt zum Verlust aller Erbansprüche 

Die Ausschlagung der Erbschaft führt dazu, dass Sie sämtliche Rechte und Pflichten am Nachlass verlieren. Sie haften nicht mehr für die Schulden des Nachlasses und müssen bereits erlangte Vermögenswerte aus dem Nachlass herausgeben. Wer ausschlägt, kann in der Regel auch keinen Pflichtteil mehr verlangen. 

Ausnahmen: Beschränkte Erben und Ehegatten behalten Pflichtteilsanspruch 

Das Gesetz sieht jedoch zwei Ausnahmefälle vor, in denen Sie ausschlagen und den Anspruch auf den Pflichtteil behalten können. 

Fall 1: Ehegatte verlangt „kleinen Pflichtteil“ 

Ein Ehegatte, der mit dem Erblasser im Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt hat, kann ausschlagen und den „kleinen Pflichtteil“ für sich beanspruchen. Der überlebende Ehegatte erhält dann den konkret berechneten Zugewinnausgleich und seinen gesetzlichen Pflichtteil. 

Diese Lösung bietet sich an, wenn der Zugewinnausgleich höher ist als der erwartete Erbteil.  

Beispiel: 

Manfred (M) war mit Friederike (F) im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheiratet. Sie haben zwei gemeinsame Kinder. Im Nachlass befindet sich ein Vermögen von 300.000,00 EUR. Bei ihrer Heirat hatten beide ein Anfangsvermögen von 0,00 EUR. F hatte zum Todeszeitpunkt des M ein Endvermögen von 20.000,00 EUR. 

Der Zugewinn des M beträgt 280.000,00 EUR. Dieser ist gegenüber F zu Hälfte auszugleichen, ihr steht also ein Betrag von 140.000,00 EUR zu. Es verbleibt ein Restnachlass von 160.000,00 EUR. Hiervon erhält F den „kleinen Pflichtteil“ in Höhe von 20.000 EUR. Insgesamt kann sie einen Betrag von 160.000,00 EUR beanspruchen. Ihr gesetzlicher Erbteil hätte sich hingegen nur auf 150.000,00 EUR (die Hälfte des hinterlassenen Vermögens) belaufen. Für F wäre es günstiger, das Erbe auszuschlagen und den „kleinen Pflichtteil“ zu verlangen. 

Fall 2: Der Erbteil ist beschränkt oder belastet 

Ein Erbe kann die Erbschaft ausschlagen und den Pflichtteil erhalten, wenn der Erblasser in einem Testament oder in einem Erbvertrag 

  • einen Nacherben eingesetzt hat, 
  • einen Testamentsvollstrecker ernannt hat, 
  • ein Vorausvermächtnis ausgelobt oder eine Teilungsanordnung getroffen hat. 

Da diese Anordnungen die Rechte des Erben einschränken oder die Erberwartung sogar aushöhlen können, wird dem Erben die Möglichkeit zur „taktischen Ausschlagung“ eingeräumt. 

Beispiel: 

Marianne (M) setzt in ihrem Testament ihre beiden Töchter Antonia (A) und Britta (B) zu gleichen Anteilen zu Erbinnen ein. Gleichzeitig ordnet sie an, dass A das einzige Grundstück erhalten soll, ohne hierfür einen Ausgleich an B leisten zu müssen. Das restliche Nachlassvermögen ist überschaubar. Für B kann es hier sinnvoll sein, das Erbe auszuschlagen und den Pflichtteil geltend zu machen. 

Richtige Vorgehensweise beachten! 

Bei der „taktischen Ausschlagung“ sollten folgende Schritte beachtet werden: 

  1. Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen: Zunächst ist zu klären, ob die Anforderungen im individuellen Einzelfall gegeben sind. Der Erhalt des Pflichtteils trotz Ausschlagung ist – wie gesagt – eine Ausnahmekonstellation. Hier sollten Sie eine Fachanwältin oder einen Fachanwalt für Erbrecht hinzuziehen. 
  1. Fristgerechte Ausschlagungserklärung: Die Ausschlagung muss gegenüber dem zuständigen Nachlassgericht innerhalb einer Frist von sechs Wochen erklärt werden (bei Auslandsaufenthalt mitunter binnen sechs Monaten). Diese Erklärung kann nur zur Niederschrift des Nachlassgerichts oder über einen Notar wirksam abgegeben werden. Eine einfache schriftliche Erklärung reicht nicht aus! 

Achtung: Die sechswöchige Frist beginnt zu laufen, sobald Sie von dem Erbfall und ihrer Erbenstellung Kenntnis haben. 

  1. Verlangen des Pflichtteils: Schließlich können die Pflichtteilsansprüche gegenüber den verbleibenden Erben geltend gemacht werden. 

Fazit: Informiert entscheiden – mit professioneller Unterstützung 

Die „taktische Ausschlagung“ ist eine Option, um sich unliebsamen Anordnungen des Erblassers zu „entziehen“. Mitunter kann die „taktische Ausschlagung“ auch zu höheren Ansprüchen im Einzelfall führen. Allerdings müssen die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, um sich nicht unbedacht sämtlicher erbrechtlicher Ansprüche zu entledigen. Hinzu kommt der Zeitdruck, der sich aufgrund der kurzen Ausschlagungsfrist ergibt. 

Lassen Sie sich daher rechtzeitig von unserer Fachanwältin oder unseren Fachanwälten für Erbrecht beraten. Wir von protego.legal begleiten Sie gerne bei der Prüfung und Geltendmachung ihrer Ansprüche im Erbfall. 

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